8.

Am frühen Morgen des dritten Tages fuhr ich mit dem Motorrad nach Dunoon, um mich bei Whybrow zu melden, meinem angeblichen Vorgesetzten vor Ort. Ich hatte mir etwas Zeit gelassen und mir gesagt, dass das Wichtigste war, mich für das Treffen mit Ryman vorzubereiten. Sir Peter hatte Whybrow sicher angedeutet, dass ich außer lokaler Wetterbeobachtung noch einen anderen Auftrag hatte.

Ich spürte den kalten Fahrtwind auf dem Gesicht und den Händen, als ich auf der Uferstraße an der Reihe großer Häuser vorbeifuhr, aus denen Kilmun selbst bestand, wobei ich auch an einer alten Kirche mit Turm und Friedhof vorbeikam. Unterhalb buckliger grüner Hügel bog ich links ab, und nach einigen Kilometern (und einem weiteren Sturz vom Motorrad) erreichte ich Dunoon.

Es war viel los. Außer den Einwohnern war noch eine Menge Leute in allerlei Uniformen unterwegs. Truppen aus den Kolonien und Amerikaner ebenso wie britische Soldaten. Als ich fragte, wo ich HMS Osprey finden könne, Sir Peter hatte gesagt, dass Whybrow dort sein Büro hatte, erfuhr ich, dass es eins der Gebäude an Land war - in diesem Fall eine alte Kuranstalt -, das die Navy aber hartnäckig als Schiff bezeichnete. Die Stockwerke wurden Decks genannt, rechts Steuerbord und links Backbord. Selbst wenn man das Haus wieder verließ, sprach man von Landgang.

Als ich ankam, war gerade eine Flaggenparade vor dem Gebäude mit Hornist und Matrosen in blauweißer Uniform im Gange. Die Zeremonie war unter den Einwohnern unbeliebt, da sie den Verkehr auf der Hauptstraße zum Stehen brachte.

Unser Weg war von Wachposten mit Gewehren versperrt, also standen und warteten wir. Auf dem Höhepunkt schrie zur großen Belustigung aller Zivilisten ein alter Mann mit blauer Strickjacke, der aus einer Schubkarre Fisch und Austern verkaufte: »Loch-Eck-Heringe, frische Loch-Eck-Heringe!«

Als das Ritual vorüber war, stellte sich heraus, dass ich umsonst gewartet hatte, denn drinnen erfuhr ich, dass die Met-Station von Dunoon weiter im Landesinneren lag und nicht auf der Osprey selbst. Allerdings wurde auch dieser zweite Standort noch als Teil des »Schiffs« betrachtet.

Ich stieg wieder auf mein Motorrad und fand schließlich draußen vor der Stadt um ein altes weiß gestrichenes Bauernhaus herum eine Ansammlung von Nissenhütten. Es gab einen Küchenbau, ein Waschhaus und einen Wasserstoffschuppen (vormals eine Getreidescheune), einige Schlafsäle und nicht viel mehr. Ziemlich primitive Bedingungen. Überall Matsch. Ich erschauderte bei dem Anblick.

Gordon Whybrow hatte eine Glatze und war kurzsichtig mit einer dicken Brille auf der Spitze seiner langen, dünnen Nase. Ich fand ihn auf der Kommandobrücke, wie das Wohnzimmer des Hofs nun genannt wurde. Er trug eine RAF-Uniform wie alle Met-Mitarbeiter, die eingezogen worden waren, auch wenn sie für eine andere Teilstreitkraft arbeiteten, so wie er auf der Osprey für die Navy. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch ziviler Mitarbeiter.

Er saß über einen großen Schreibtisch mit der Schreibmaschine gebeugt, auf der wahrscheinlich sein Brief an mich getippt worden war, und überprüfte eine andere Maschine oder einen Teil davon. Es war der Schaltmechanismus eines neuen Funksondentyps.

Drei gefüllte rote Ballons hingen unter der Decke, und ihre Schnüre streiften Whybrow, während er sich das Gerät ansah. Hinter ihm zeichnete eine Mitarbeiterin kombinierte Messwerte auf einer großen Wandtafel ein. Sie war schlank und brünett und griff nach an »Bronzemäusen« befestigten Schnüren, die die Richtungslinien von Ballons anzeigten, die verschiedene Stationen hatten aufsteigen lassen.

Kleine rote Fähnchen markierten die Positionen der Wetterschiffe im Atlantik, im Ärmelkanal und in der Nordsee, während Linien grüner Fähnchen für die Routen der Met Rees, der meteorologischen Erkundungsflüge standen, die jeden Morgen von Flugplätzen in ganz Großbritannien starteten.

Eine etwas molligere Mitarbeiterin mit kurzem, blondem Haar kniete auf dem Boden und gab ihrer Kollegin Daten durch, die der Fernschreiber ausspuckte. Ihr pausbäckiges Gesicht war voller Sommersprossen. Sie war die Einzige, die mich bemerkt hatte, und lächelte freundlich und strich sich mit der Hand den Rock glatt, als würde die Geste die Peinlichkeit des Kniens wettmachen.

»Sie müssen die Schaltsequenz einstellen, bevor Sie den Windmesser ansetzen«, sagte ich zu Whybrows Glatze. Er sah auf, das Gesicht voller Überraschung, auf die gleich Ärger folgte, von dem ich nicht wusste, ob er meiner zugegebenermaßen recht besserwisserischen Anmerkung oder meiner Ankunft galt.

»Henry Meadows. Der Direktor hat mich wahrscheinlich angekündigt...«

»Ah«, sagte Whybrow und setzte sich gerade hin. »Da sind Sie ja endlich. Unser geheimnisvoller Mitarbeiter. Ich habe gemerkt, dass Sie gestern den Fernschreiber angeschlossen haben. Warum haben Sie so lange gebraucht, sich zu melden?« Er sprach sehr durch seine lange Nase.

»Ich wollte mich erst einrichten«, erwiderte ich. »Da die Ausrüstung bereits vor Ort war ... Und sicherlich wissen Sie von dem anderen Auftrag, den Sir Peter mir erteilt hat.«

Er blinzelte durch die Brille. »Ein anderer Auftrag, was? Na sieh mal an. Ja, der Direktor hat erwähnt, dass Sie für ihn an einem Sonderprojekt arbeiten.« Er wandte sich an die beiden Frauen. »Ein Sonderprojekt. Das ist doch was, oder, Mädels?«

»Erlauben Sie mir, Ihnen Gwen Liss und Joan Lamb vorzustellen«, sagte Whybrow und deutete nacheinander auf die beiden Frauen. »Er hätte wirklich zuerst hierher kommen sollen, was, Mädels?«

Ich ignorierte ihn. Eine der Frauen kicherte. Es war Gwen, die dünne Brünette mit den eher hohlen Wangen, was sie leidenschaftlich ernst aussehen ließ. Joan dagegen war hell und breit, sie sah germanisch oder skandinavisch aus, wenn man sie einordnen wollte, nur mit dunklen Augen. Mit den blonden Haaren und Sommersprossen war auch sie eine verführerische Mischung.

Whybrow schickte die beiden mit einer Handbewegung nach draußen. »Lasst uns mal einen Moment alleine, ja?« Er deutete gebieterisch auf die roten Ballons unter der Decke. »Schickt einen davon hoch und berechnet mir die Wolkenhöhe.«

Ohne ein Wort zog Joan an einer der Schnüre, und Gwen nahm den Ballon in die Hände, als er herunterkam. Er füllte fast den ganzen Türrahmen aus, als sie damit nach draußen ging wie eine Kellnerin mit einem Tablett, das sie vor sich hertrug. Joan folgte ihr.

Als sie fort waren, wandte Whybrow sich mir zu und faltete die Hände auf seiner Uniformjacke, als wollte er eine Rede halten. »Ich verstehe nicht ganz, warum eine Typ-3-Außenstation in Wallace Rymans Garten aufgebaut werden muss, aber was geht mich das schon an? Es heißt, Sie seien ein >junges Talents das wir gut behandeln sollen. Ein echter Wissenschaftler, hat Sir Peter gesagt, als ob wir anderen keine wären. Hören Sie mir gut zu, junger Mann, ich erwarte von Ihnen nur das Beste, wie von jedem anderen Beobachter auch.«

»Selbstverständlich, Sir«, erwiderte ich mit absichtlich leicht demütiger Stimme. Whybrow war für meinen eigentlichen Auftrag mehr oder weniger irrelevant, aber es gab keinen Grund, ihn vor den Kopf zu stoßen, nur weil ich es konnte. Und schließlich konnte ich vielleicht doch einmal seine Hilfe brauchen.

»Also gut. Gehen wir ans Eingemachte. Haben Sie schon Sonden aufsteigen lassen?«

»Mir fehlt leider der Wasserstoff.«

»Wir haben Ihnen alles Nötige bereitgestellt.«

»Ich habe noch nie selbst welchen hergestellt. In Kew bekamen wir fertig befüllte Flaschen.«

Er lachte kurz auf, als ob er sich über die Enthüllung freute, dass ich doch nicht alles besser wusste. »Dann kommen Sie lieber mal mit.«

Wir verließen das Bauernhaus und stapften durch den Matsch zwischen den Nissenhütten, die alle gleich hoch waren. Der Wasserstoffschuppen war viel größer. Aus einer Art Giebel an einem Ende stach der Turm des Wolkenscheinwerfers hervor, der dem ganzen Komplex etwas von einem provisorischen Flugplatz gab.

»Gwen! Joan!«, rief Whybrow.

Er rief noch einmal. Ein roter Ballon stieg hinter einer der Hütten hervor. Schließlich verschwand er in der Wolke.

»Fünfundneunzig Meter, Sir«, sagte Joan, als sie aus der Hütte trat, kurz darauf gefolgt von Gwen.

Ich erfuhr später, dass sie beide aus Familien mit Landbesitz in Norfolk stammten. Sie gehörten einem Typ eleganter Frauen an, dem alles zufiel und der ganz und gar nicht in so ein Provinzkaff passte. Andererseits machte der Krieg das mit uns allen, er schob uns auf seinem Schachbrett hin und her und brachte uns an völlig unerwartete Orte.

»Sehr gut«, näselte Whybrow. »Und nun möchte ich, dass Sie, eine von Ihnen beiden oder meinetwegen alle beide, unserem Neuankömmling zeigen, wie man Wasserstoff herstellt. Schicken Sie ihn hinterher bitte zu Mr Pyke am Loch Eck.«

Er wandte sich mir zu. »Sir Peter hat mich gebeten, Sie jemandem von der experimentellen Abteilung der Streitkräfte vorzustellen, der hier oben arbeitet. Seltsamer Bursche namens Pyke. Total drauf versessen, Wissenschaft für den Krieg zu nutzen, und hat wirklich ein paar gute Ideen. Ihnen auf jeden Fall viel Glück!«

Mit diesen seltsam fröhlichen Worten machte Whybrow sich wieder auf den Weg zur Kommandobrücke, sein kantiger Rücken vom Licht zwischen zwei Nissenhütten eingerahmt. Ohne ein Wort zu mir gingen die beiden Frauen auf den hohen Wasserstoffschuppen zu.

Ich folgte ihnen, und mir fiel unwillkürlich auf, dass ihre schönen Schuhe völlig matschverschmiert waren. Sie hatten Absätze, aber es waren bessere Schuhe als die Standardpumps, die die meisten Waafs trugen und die wie komische schwarze Frösche aussahen.

»Eine Schande, so schöne Schuhe schmutzig zu machen«, sagte ich in Richtung ihrer Rücken. »Die sehen ziemlich teuer aus. Bei dem Matsch hier solltet ihr lieber Gummistiefel anziehen.«

»Nein, danke«, erwiderte Joan über die Schulter. »Gummistiefel würden wir im Leben nicht tragen.« Es kam mir seltsam vor, dass sie für beide antwortete.

»Wasserstoffschuppen«, verkündete Gwen trocken. Sie sprachen beide in einem abgehackten Stakkato. Gwen öffnete die Tür, und ich folgte den beiden hinein.

Die Lampen gingen flackernd an und zeigten einen großen lagerhausähnlichen Raum. An einem Ende führte eine Treppe zu einem Zwischengeschoss unter dem Giebel. Es gab einen Balkon, hinter dem kaum sichtbar oberhalb der Leuchtstoffröhren vertikale Formen zu erahnen waren: eine Reihe von Aluminium-Hängelampen, die aussahen wie Soldatenhelme. Um einen Freiraum in der Mitte des Erdgeschosses stand eine Reihe von Stahlbehältern mit Ätznatron neben einem Haufen Gasflaschen für den Wasserstoff.

»Das hier ist der Generator«, sagte Joan. Sie zeigte auf einen anderen Behälter, dieser kleiner und dickwandiger als die mit dem Ätznatron und verschlossen mit einem Schraubdeckel, aus dem ein schwarzer Gummischlauch hervorstand.

Ich stieß mir den Fuß und fluchte. Die Frauen kicherten schadenfroh. Als ich hinuntersah, fand ich den Übeltäter: einen Bleirhombus. »Das ist das Sicherheitsgewicht«, erklärte Gwen mit freundlicherer Stimme. »Wir machen das immer. Und haben einen Riesenspaß dabei.«

Sie zog sich Gummihandschuhe an und holte einen Klumpen Ätznatron, den sie ins Licht hielt, als sie wieder auf mich zukam. Er sah wie ein Salzblock aus. »Passen Sie auf, dass Sie von dem Teufelszeug nichts auf die Haut kriegen.« Sie legte den Klumpen in den Generator und gab Wasser hinzu. »Zwei Drittel auffüllen.«

»Eine Tasse Eisenspäne dazu«, sagte Joan und lehnte sich vor.

»Ferrosilizium, genauer gesagt«, merkte Gwen an und sah mit an, wie Joan den Katalysator einfüllte. Während Gwen schnell den Deckel verschraubte, hob Joan das Bleigewicht neben meinem Fuß auf und legte es auf den Gummischlauch, wo er aus dem Deckel hervortrat. Sie stützte sich mit einer Hand auf Gwens Schulter ab und stellte sich erst mit dem einen, dann mit dem anderen Fuß auf das Gewicht.

»Das muss man machen, sonst kann das Gewicht herunterfallen«, sagte sie, als die Reaktion anfing. So wie sie mit ausgestreckten Armen balancierte, sah sie aus wie ein übergroßer Weihnachtsengel. Neben ihr in dem Behälter zischte und gurgelte das Wasserstoffrezept.

Die Reaktion erreichte ihren Höhepunkt. Gwen holte einen leeren Ballon aus ihrer Uniformjacke, kniete sich neben den Behälter und rollte die Öffnung langsam über den Schlauchstutzen. »Man muss ihn ganz vorsichtig drüberrollen«, sagte sie.

»Sonst kann alles in die Hose gehen«, fügte Joan von ihrem Sockel hinzu.

Ich sah, wie der Ballon sich langsam blähte.

»Wasserstoff«, sagte Gwen, während sie den Ballon zwischen den Handflächen hielt. »Das leichteste Element im Universum, ta-daa, ta-daa.«

»Und das am weitesten verbreitete«, merkte Joan an und trat von dem Gewicht herunter, als die Reaktion nachließ. »Sieben Kilo in jedem menschlichen Körper.« Sie hörten sich wie Varietekomiker an, die auf eine Pointe zusteuerten.

Gwen rollte den Ballon von seinem Nabelschlauch, verknotete ihn und ließ ihn los. Er tanzte hinauf an den Leuchtstoffröhren vorbei zum höchsten Punkt der Decke.

»Wie bekommen Sie ihn wieder herunter?«, fragte ich mich laut, während ich nach oben sah.

»Kommen Sie mit, wir zeigen es Ihnen«, forderte Joan mich auf.

Ich stand in der Mitte des Schuppens. »Der ist doch hochexplosiv. An den Lampen könnte er sich entzünden.«

»Nur wenn es einen Funken gibt«, erwiderte Gwen. »Kommen Sie.«

Ich folgte ihnen durch den höhlenartigen Schuppen und die schmale Treppe hinauf zu dem Giebel mit dem Balkon. Nachdem wir durch eine offene Falltür gestiegen waren, sah ich, dass mehrere Stahlplatten als Fundament für eine Konstruktion mit dem Holzboden vernietet waren. Es war recht dunkel dort oben, aber ich konnte den Turm des Wolkenscheinwerfers ausmachen. Darunter lagen zwei dünne Matratzen mit Kopfkissen und Decken nebeneinander. Ich war überrascht, meine Gedanken rasten ... Sie hatten mich doch nicht etwa in ihr Schlafzimmer gebracht?

»Manchmal schlafen wir abwechselnd eine Weile, wenn wir Dienst haben«, erklärte Gwen. Sie knipste eine kleine Lampe an: bloß eine nackte Glühbirne an einem der Balken.

In dem neuen Licht sah ich zwei kleine Schälchen mit Make-up auf dem Boden und einen Standspiegel, der mit Kleidern verhängt war. Darunter lag ein kleiner Haufen Schuhe. Dort oben gab es auch eine Staffelei und einen Stoß Leinwand sowie eine Palette mit vertrockneter Ölfarbe in verschiedenen Tönen, Marmeladengläser voller Pinsel und ein Holztablett mit halbvollen Farbtuben.

»Wir malen hier oben auch«, sagte Gwen. »Wir sind nämlich Künstlerinnen.«

Noch überraschter sah ich mir das Bild auf der Staffelei an. Darauf war ein langer gelber Strand mit Brandung entlang der Krümmung einer Bucht zu sehen. Zwischen den Meerwasserpfützen im Sand sprangen zwei schwarze Hunde und jagten ihre salzwassernassen Schwänze. Die gekräuselten Schwänze und die brechenden Wellen waren wie Spiegelbilder, als sollte eine Beziehung zwischen den beiden vermittelt werden. Hinter den Hunden verschmolzen Blau-, Gelb- und Grüntöne in verschiedenen Variationen mit dem leuchtenden Horizont.

»Wirklich ziemlich gut«, sagte ich, als ich bemerkte, dass die beiden mich erwartungsvoll ansahen.

»Das reicht nicht«, erwiderte die dünne Gwen, und einen Moment lang fragte ich mich, ob sie damit meinen Kommentar meinte und nicht das Bild selbst.

»Das tut es nie«, sagte Joan. »Möchten Sie einen Tee?«

»O ja, gerne«, antwortete ich. »Wer von euch hat es gemalt?«

»Wir malen zusammen«, erwiderte Gwen stolz. »Das ist ungewöhnlich.«

»Kann sein. Wir machen es aber so. Wenn dieser schreckliche Krieg irgendwann mal vorbei ist, bewerben wir uns bei der Slade School.«

»Was meinen Sie, wie wir es nennen sollen?«, fragte Joan mich.

Ich sah mir das Bild wieder an. »Hunde im Schaum«?, schlug ich vor, und die beiden prusteten laut los.

Auf einem niedrigen Tisch neben dem Spiegel stand alles, was man brauchte, um Tee zu kochen. Joan setzte einen kleinen Kessel auf. Etwas verschämt warteten wir, dass das Wasser endlich heiß wurde.

»Was sagt eigentlich Whybrow dazu?«, fragte ich.

»Wozu?«, erwiderte Gwen.

»Zu diesem kleinen Versteck hier oben.«

»Ach, dagegen hat er nichts«, antwortete Joan und goss das heiße Wasser in eine Teekanne.

»Er traut sich nicht, etwas zu sagen«, sagte Gwen. »Wir glauben, er hat Angst vor uns.«

»Im Ernst?«

»Er sagt, wir beunruhigen ihn«, erklärte Joan und goss Tee in einen Becher, den sie mir reichte. »Warum?«

Ich bekam keine Antwort. Während wir tranken, sah ich mir den Stahlfachwerkturm an, der wie ein Strommast vom Boden bis zum Dach ragte, wo über ihm eine Doppelfalltür eingesetzt war. Das Glas des Scheinwerfers und einige meteorologische Messgeräte hingen an einer Schiene in der Mitte des Turms, der sich mit einem Kurbelgetriebe aufrichten ließ.

»Darf ich den mal im Einsatz sehen?«, fragte ich.

»Tagsüber braucht man ihn nicht«, sagte Gwen. »Und nachts lockt er Bomber an, aber eigentlich machen wir nur die hier auf ...« Sie stieg auf den Turm und entriegelte eine Seite der Falltür, die mit lautem Knall aufklappte. Kalte Luft strömte herein. Ich konnte den Himmel sehen - und Gwens Waden.

Verlegen sah ich schnell wieder nach unten und hoffte, dass Joan neben mir nichts merkte. Aber sie hatte es wohl mitbekommen. Ich war mir sicher, dass sie grinste. Langsam vermutete ich, dass das Ganze nur für mich inszeniert worden war. Oder für die beiden selbst. War ich hereingelegt worden? Ich verstand langsam, warum Whybrow sie beunruhigend fand. Sie wirkten wie Frauen, die Männer um den Finger wickeln können und sich einen Spaß daraus machen.

Es gab einen weiteren Knall, als Gwen die zweite Falltür öffnete. Joan nahm einen Metallgriff in die Hand und fing an, das Schneckengetriebe anzutreiben, das den Turm aufrichtete. Er erhob sich wie eine Theatermaschine. Ich sah zu, wie Gwen mit dem Turm weiter stieg, bis ihr Kopf in der Luke verschwand. Direkt vor meinem Gesicht konnte ich durch eine Seidenstrumpfhose ihre Knöchel sehen. Mich überkam die pure Lust.

»Huch, ist das kalt hier oben«, rief sie.

Ich starrte. Es hatte etwa Hypnotisches, wie der Stoff - einem Graphen ähnlich, einer stetigen Funktion - den Linien von Haut und Knochen folgte.

Noch schlimmer wurde es, als Joans Hand mir über den Rücken strich, als sie nach dem Griff des Schneckengetriebes fasste. »Helfen Sie mir mal?«, bat sie, als sie wieder mit dem Kurbeln angefangen hatte. »Mein Handgelenk tut weh.«

Also kurbelte ich den Turm - und Gwen - wieder herunter. Joan hatte recht. Auch trotz des Getriebes ging es ziemlich schwer.

»Im Sommer riecht der Wind hier oben nach Jasmin«, sagte Joan.

»Wie romantisch«, erwiderte ich.

»Und im Winter holt man sich Frostbeulen«, fügte Gwen trocken hinzu, während sie neben uns herunterstieg. »Joany, wir müssen jetzt mal den Ballon holen.«

Ich sah mir über den Balkon den Ballon an der Decke an. Die Leuchtstoffröhren schimmerten seltsam rötlich durch das Gummi wie das Licht einer Taschenlampe durch einen Finger. Gwen nahm eine Stange mit einem gebogenen Stück Metall am Ende - wie ein Bootshaken -, und Joan lehnte sich über den Balkon und hakte den Ballon geschickt ein.

»Ja«, sagte Gwen, und wir stiegen gemeinsam die Treppe hinunter. »Nein, gib her. Ich mach das.«

Sie nahm das andere Ende der Stange von Joan entgegen, die dann selbst hinabstieg.

Gwen öffnete die Tür des Schuppens und ließ das Gas mit einem langen, langsamen Seufzer aus dem Ballon. Ich stellte mir vor, wie die Wasserstoffmoleküle sich in der Atmosphäre verteilten und mit anderen Elementen verbanden.

»Whybrow hatte etwas gesagt, dass ich mich mit Pyke von der experimentellen Abteilung am Loch soundso treffen soll. Loch ... Loch ...«, sagte ich und trat mit gerunzelter Stirn von einem Bein aufs andere, weil mir der Name nicht einfiel.

»Eck. Ich zeige Ihnen, wie Sie fahren müssen«, sagte Joan. »Es ist nicht weit. Um diese Zeit ist Pyke meistens da draußen. Wenn er nicht da ist, ist er wahrscheinlich im Hotel Argyll in der Stadt.«

Ich war froh, dass sie sich angeboten hatte. Denn ich muss zugeben, dass mich (in meinem Unwissen) Joan trotz der Sache mit der Strumpfhose mehr in Wallung brachte als Gwen. Wie die beiden lachen werden, wenn sie das hier jemals lesen!

Wir gingen durch den Matsch über den alten Hof zum Tor.

»Woran kann ich Pyke erkennen?«, fragte ich.

Ich schwang mich auf das Motorrad.

»Der ist nicht zu verwechseln«, antwortete sie. »Er hat einen zauseligen kleinen Bart und eine Brille. Sieht ein bisschen komisch aus. Trägt ein löchriges Jackett.« Sie kicherte. »Passen Sie bloß auf, sonst werden Sie auch irgendwann so.«

»Was soll das denn heißen?«, fragte ich beleidigt.

»Ihr Wissenschaftler seht doch irgendwann alle so aus.«

»Was meinen Sie damit?«

»Ihr habt keinen Stil. Ihr denkt die ganze Zeit nur an eure Gleichungen.«

»Ach so«, erwiderte ich und stellte mich der Herausforderung. »Aber darum geht es doch gerade. Der Stil liegt in den Gleichungen. Manche Leute führen hässliche Beweise, andere sind da eleganter. Auf meine bilde ich mir eine Menge ein - sie sind so schön wie alles auf der Welt!«

Ihr Gesicht verzog sich. »Alles? Es ist doch längst nicht alles schön! Nur besondere Dinge sind schön.«

Mein ungeschickter Versuch, mich zu erklären, war mir peinlich. »Na gut, Miss, wenn Sie es sagen. Aber eines Tages zeige ich Ihnen meine Gleichungen, und Sie werden sehen, was ich meine.«

»Ich freue mich darauf.«

Nachdem sie mir den Weg zum Kai am Loch Eck erklärt hatte, verabschiedete sie sich und ging zurück zur Wetterstation.

Ich brachte es fertig, das Motorrad gleich nach ein paar Metern abzuwürgen. Während ich mitten auf der Straße stand und den Kickstarter trat, merkte ich, dass ein Trupp Soldaten auf mich zumarschierte. Amerikanische Infanterie. Ich konnte die Maschine nicht mehr aus dem Weg schieben. Sie teilten sich und liefen zu beiden Seiten an mir vorbei; durch Übung gehärtete Gesichter, die keine Anzeichen zeigten, dass sie mich bemerkt hatten.

Ich saß still auf meinem Sitz. Ich habe noch nie eine Motorradfahrerstatue gesehen, aber genau das war ich in dem Moment, ein Monument, um das die Soldaten gemeinsam mit den Luftmolekülen strömten. Als die Männer nach der Teilung wieder zusammentrafen, deutete nichts mehr auf die Störung hin. Ich drehte mich im Sitzen um und sah zu, wie sie in der Ferne verschwanden, und ich dachte wieder an die Invasion, an der sie möglicherweise teilnehmen würden und deren Wettervorhersage ich verbessern sollte, indem ich die Geheimnisse der Ryman-Zahl entschlüsselte.

Ich trat den Kickstarter. Unter feindlichem Feuer auf dem Strand ... Ich beneidete sie nicht. Ich trat den Kickstarter noch einmal.

Als der Motor endlich ansprang, wurde ich von schweren Zweifeln erschüttert, dass irgendetwas, was ich als Meteorologe tun konnte, dem gleichkam, was von diesen Soldaten erwartet wurde.

 

Die Geometrie der Wolken
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